Bei einer Scheidung ist die Immobilie oft das größte und komplizierteste Vermögensobjekt. Nicht der Kaufpreis aus der Vergangenheit zählt, sondern der Verkehrswert heute. Wer das nicht versteht, riskiert eine ungerechte Aufteilung - und monatelange Streitigkeiten. Der Wert einer Wohnung oder eines Hauses wird nicht von der Ehefrau oder dem Ehemann geschätzt, sondern von einem unabhängigen Sachverständigen. Und das ist kein Luxus, sondern eine rechtliche Pflicht, wenn es um den Zugewinnausgleich geht.

Warum der Verkehrswert zählt - und nicht der Kaufpreis

Viele denken: Wir haben das Haus vor 15 Jahren für 200.000 Euro gekauft, also teilen wir das. Falsch. Der Wert einer Immobilie verändert sich. In den letzten zehn Jahren sind die Preise in vielen Regionen Deutschlands um über 80 % gestiegen. In manchen Städten sogar doppelt so schnell. Wenn ein Ehepartner das Haus allein gekauft hat, aber beide während der Ehe darin gelebt und es renoviert haben, steht dem anderen Partner trotzdem ein Anteil am Wertzuwachs zu. Das ist der Zugewinnausgleich nach § 1373 BGB.

Der Verkehrswert ist der Preis, den ein Objekt auf dem Markt erzielen würde - wenn es heute verkauft würde. Er berücksichtigt Lage, Zustand, Größe, Ausstattung und aktuelle Marktentwicklungen. Der Sachwert - also der Wert der Bausubstanz - spielt hier keine Rolle. Eine Immobilie mit 50 Jahre altem Dach und maroder Heizung hat einen niedrigeren Verkehrswert als ein saniertes Haus mit Wärmepumpe und Neubau-Fenstern. Und genau das muss bewertet werden.

Zwei Arten von Gutachten - welches passt zu dir?

Es gibt zwei Hauptformen von Immobiliengutachten bei Scheidung: das Kurzgutachten und das Verkehrswertgutachten nach § 194 BauGB.

Kurzgutachten ist die schnellere, günstigere Variante. Es liefert eine übersichtliche Schätzung des Marktwerts, basierend auf vergleichbaren Immobilien in der Region. Die Kosten liegen meist zwischen 300 und 800 Euro. Es ist ideal, wenn beide Ehepartner einverstanden sind und eine außergerichtliche Einigung anstreben. Die meisten Banken und Notare akzeptieren es, wenn keine Streitigkeiten bestehen.

Verkehrswertgutachten nach § 194 BauGB ist dagegen ein umfassendes, gerichtstaugliches Dokument. Es enthält detaillierte Beschreibungen des Objekts, Fotos, Pläne, eine Analyse von 10-15 Vergleichsobjekten, Berechnungen nach der Ertragswert-, Sachwert- und Vergleichswertmethode - und eine ausführliche Begründung. Die Kosten liegen zwischen 0,5 % und 3,5 % des Immobilienwerts. Bei einem Haus im Wert von 400.000 Euro bedeutet das 2.000 bis 14.000 Euro. Es ist verpflichtend, wenn es zu Streit kommt - etwa wenn einer behauptet, die Renovierung sei seine private Leistung gewesen, oder wenn der Wert stark schwankt.

Ein Online-Immobilienrechner ersetzt keines der beiden Gutachten. Diese Tools nutzen oft veraltete Daten und ignorieren den Zustand des Hauses. Ein Gericht akzeptiert sie nicht. Sie dienen nur zur groben Orientierung - nicht zur Rechtsgrundlage.

Wann ist der richtige Zeitpunkt für die Bewertung?

Der Wertstichtag ist entscheidend. Das ist der Tag, an dem der Wert festgelegt wird - nicht der Tag der Scheidung, sondern der Tag, an dem die Ehe faktisch zu Ende ist. Meist ist das der Tag der Trennung oder der Tag, an dem der Scheidungsantrag beim Gericht eingereicht wurde. In manchen Fällen ist es der Tag, an dem der andere Ehepartner vom Antrag Kenntnis erhielt.

Warum das wichtig ist: Wenn du im Januar 2024 getrennt bist und die Immobilie im März 2025 bewertest, ist der Wert höher als wenn du im Januar 2024 bewertest. Die Bundesbank meldete 2023 einen Preisrückgang von 12,7 % im Vergleich zum Vorjahr. Wer zu spät bewertet, könnte einen Wert verpassen, der später nicht mehr gilt. Wer zu früh bewertet, riskiert, dass der andere Partner sagt: „Das war doch noch vor der Krise.“

Eine Immobilie wird anhand von Kauf- und Marktwert in zwei Hälften geteilt, symbolisch dargestellt.

Wie wird der Zugewinnausgleich berechnet?

Der Zugewinnausgleich ist nicht die Hälfte des aktuellen Hauswerts. Er ist die Hälfte des Zuwachses während der Ehe.

Beispiel: Du hast das Haus 2015 für 250.000 Euro gekauft. Der Verkehrswert am Tag der Trennung (1. März 2024) beträgt 480.000 Euro. Der Zugewinn ist 480.000 - 250.000 = 230.000 Euro. Dein Partner hat Anspruch auf die Hälfte davon: 115.000 Euro.

Wenn das Haus im gemeinsamen Eigentum steht, wird es anders gerechnet: Dann zählt der Wert am Tag der Hochzeit und der Wert am Tag der Trennung. Der Unterschied wird halbiert. Wer das Haus allein gekauft hat, behält den ursprünglichen Wert. Der andere bekommt nur den Zugewinnausgleich - nicht das Haus.

Renovierungen, die mit gemeinsamen Geldern gemacht wurden, werden als Zugewinn gewertet. Wenn du aber mit deinem Erbe eine neue Küche eingebaut hast, kann das als persönlicher Beitrag gelten - aber nur, wenn du das nachweisen kannst. Dafür brauchst du Rechnungen, Überweisungen, Zeugen. Ohne Nachweise zählt es nicht.

Wer bezahlt das Gutachten?

Beide Ehepartner haben das Recht, ihren eigenen Sachverständigen zu beauftragen. Aber wer zahlt? In der Praxis gibt es drei Wege:

  • Beide teilen sich die Kosten - das ist am häufigsten, wenn beide kooperieren.
  • Der Partner, der das Haus behalten will, übernimmt die Kosten - als Gegenleistung für den Ausgleich.
  • Ein gemeinsamer Gutachter wird beauftragt - das spart Geld und vermeidet Konflikte. Viele Notare empfehlen das.

Wenn einer den anderen zwingt, allein zu zahlen, ist das rechtlich fragwürdig. Ein Gericht kann die Kostenverteilung auch anders entscheiden - besonders wenn einer die Vermögenslage verschleiert hat.

Warum ein unabhängiger Sachverständiger unerlässlich ist

Ein Gutachter muss neutral sein. Kein Makler, kein Anwalt, kein Freund der Familie. Es muss ein zertifizierter Immobiliensachverständiger sein - mit Ausbildung, Berufserfahrung und Mitgliedschaft in einem anerkannten Verein wie dem Deutschen Gutachterausschuss für Grundstückswerte. Sie prüfen nicht nur die Fakten, sondern auch die Glaubwürdigkeit der Angaben.

Ein guter Gutachter fragt: Wann wurde das Dach erneuert? Wer hat die Sanierung bezahlt? Gab es eine Baugenehmigung für den Anbau? Ist die Heizung modern? Hat die Nachbarschaft sich verändert? Ist der Keller trocken? Diese Details machen den Unterschied zwischen einem Schätzwert und einem rechtskräftigen Gutachten.

Die Deutsche Gesellschaft für Gutachterwesen meldete 2023 eine Zunahme der Streitfälle um 18 % - vor allem wegen preislicher Schwankungen. Wer auf einen billigen Gutachter setzt, der nicht versteht, wie der Markt funktioniert, riskiert später eine Neubewertung - und höhere Kosten.

Zwei Ehepartner besprechen ein Gutachten mit einem Notar in einem neutralen Raum.

Was passiert, wenn keiner das Haus will?

Manchmal wollen beide Ehepartner das Haus nicht behalten. Dann wird es verkauft. Der Erlös wird nach Abzug von Kosten (Makler, Notar, Steuern) gleichmäßig geteilt. Aber: Wer zahlt die Renovierung, wenn das Haus vor dem Verkauf aufgepeppt werden muss? Hier ist Kommunikation entscheidend. Ein gemeinsames Gutachten hilft, den fairen Verkaufspreis zu bestimmen - und verhindert, dass einer versucht, den Preis künstlich niedrig zu halten.

Die Bundesnotarkammer berichtet, dass 40 % aller Scheidungen Immobilien betreffen - und 65 % davon enden in Streit über den Wert. Wer frühzeitig ein Gutachten in Auftrag gibt, vermeidet diese Falle. Die Deutsche Anwaltsakademie empfiehlt sogar: Bevor du heiratest, lass deine Immobilie bewerten. Dann weiß jeder, was am Anfang da war - und was später dazukam.

Was ändert sich bald? Neue Regeln ab 2024

Das Bundesjustizministerium plant bis 2024 eine Vereinheitlichung der Bewertungsstandards für Scheidungsgutachten. Das bedeutet: Künftig müssen alle Gutachter die gleichen Methoden verwenden, die gleichen Daten nutzen und die gleiche Dokumentation liefern. Das soll Rechtssicherheit erhöhen und unnötige Wiederholungen vermeiden.

Die steigende Komplexität der Märkte - von energieeffizienten Gebäuden bis zu digitalen Energieverträgen - macht das immer wichtiger. Wer heute ein Gutachten in Auftrag gibt, sollte darauf achten, dass der Sachverständige mit den neuesten Richtlinien vertraut ist. Das ist kein Luxus, sondern eine Absicherung.

Was du jetzt tun kannst

Wenn du dich scheiden lässt und eine Immobilie im Spiel ist:

  1. Finde heraus, wann die Ehe faktisch zu Ende war - das ist dein Wertstichtag.
  2. Sammele alle Unterlagen: Kaufvertrag, Renovierungsrechnungen, Energieausweis, Baugenehmigungen.
  3. Suche einen zertifizierten Sachverständigen - nicht den Makler, der dir das Haus verkaufen will.
  4. Verhandele mit deinem Partner: Ein gemeinsames Gutachten spart Geld und Zeit.
  5. Wenn du das Haus behalten willst: Berechne den Zugewinnausgleich im Voraus - dann weißt du, wie viel du aufbringen musst.
  6. Wenn du das Haus verkaufen willst: Lass es vorher saniert bewerten - nicht nach dem Verkauf.

Immobilien bei Scheidung sind kein emotionales Problem - sie sind ein rechtliches und wirtschaftliches. Wer hier auf Gefühl setzt, verliert Geld. Wer auf Fakten setzt, behält seine Zukunft.