Ein denkmalgeschütztes Haus aus dem 19. Jahrhundert zu sanieren, ist kein gewöhnlicher Renovierungsjob. Wer hier einfach eine moderne Dämmung einbaut, riskiert, die Substanz zu beschädigen - und damit das Kulturgut zu zerstören. Die Lösung? Kapillaraktive und diffusionsoffene Wärmedämmung. Kein Zauber, sondern bauphysikalische Praxis. Und sie funktioniert nur, wenn man versteht, wie alte Mauern atmen.

Warum normale Dämmung in alten Häusern schadet

Viele Hausbesitzer denken: Je dichter die Dämmung, desto besser. Das ist bei Neubauten richtig. Bei Altbauten mit Kalkmörtel, Ziegelsteinen und Holzbalken wird es zur Falle. Konventionelle Dämmstoffe wie Polystyrol oder Polyurethan sind dampfdicht. Sie blockieren den Wasserdampf, der natürlich durch die Wände wandert. Der Dampf bleibt stecken, kondensiert an kühlen Stellen - und bringt Schimmel hervor. Das ist kein seltenes Problem. In 45 % der misslungenen Innendämmungen ist genau das der Grund: Dampfbremsen, die nicht zur Substanz passen.

Was kapillaraktiv und diffusionsoffen wirklich bedeutet

Kapillaraktiv bedeutet: Der Baustoff kann Flüssigwasser aufnehmen und weiterleiten - wie ein Schwamm, der Wasser von innen nach außen transportiert. Diffusionsoffen bedeutet: Wasserdampf kann frei durch das Material ziehen. Beides zusammen ist der Schlüssel. Historische Mauern haben über Jahrhunderte gelernt, mit Feuchtigkeit umzugehen. Sie nehmen sie auf, speichern sie, geben sie wieder ab - wenn man sie nicht mit Folien und Kunststoffen abschottet.

Typische Materialien sind Kalziumsilikatplatten. Sie haben eine Wärmeleitfähigkeit von 0,045 bis 0,055 W/(m·K), eine Rohdichte von 220-260 kg/m³ und können bis zu 30 % ihres Volumens an Wasser aufnehmen, ohne zu schaden. Sie leiten Dampf mit einem μ-Wert von 5-15, während Polystyrol Werte über 50.000 erreicht. Das ist kein kleiner Unterschied - das ist der Unterschied zwischen Sanierung und Zerstörung.

Wie das System funktioniert - und warum der Klebemörtel entscheidend ist

Eine kapillaraktive Dämmung ist kein einzelner Baustoff. Sie ist ein System: Dämmplatte + Klebemörtel + Putz. Und der Klebemörtel ist der unsichtbare Held. Er hat eine höhere Wärmeleitfähigkeit (0,85-1,2 W/(m·K)) als die Platte - das klingt schlecht, ist es aber nicht. Warum? Weil er die Kapillarität überträgt. Er leitet Feuchtigkeit vom Mauerwerk zur Dämmplatte und weiter nach außen. Sein Diffusionswiderstand (μ-Wert 15-25) ist höher als der der Platte, aber niedrig genug, um den Dampf nicht zu blockieren. Ein falscher Kleber - zum Beispiel ein normaler Dämmkleber - macht das ganze System kaputt. Das ist der häufigste Fehler bei der Ausführung.

Materialvergleich: Kalziumsilikat, Zellulose, PU-Streifen

Nicht alle kapillaraktiven Systeme sind gleich. Hier die drei Hauptvarianten:

Vergleich kapillaraktiver Dämmstoffe für Denkmalschutz
Material Wärmeleitfähigkeit λ μ-Wert Wasseraufnahme Kosten pro m² Beste für
Kalziumsilikatplatten 0,045-0,055 W/(m·K) 5-15 bis 30 Vol.-% 125-145 € Stabile, trockene Wände, hohe Feuchtigkeitswechsel
Zelluloseflocken 0,039-0,042 W/(m·K) 3-10 bis 25 Vol.-% 115-130 € Ungleichmäßige Wände, schwer zugängliche Bereiche
Remmers PU-Streifen 0,023 W/(m·K) 10-15 10-15 Vol.-% 135-155 € Hohe Energieeinsparung, bei Raumverlust begrenzt

Die Zelluloseflocken dämmen etwas besser, sind aber anfälliger bei undichten Anschlüssen. Die PU-Streifen von Remmers sind die energieeffizienteste Lösung - aber sie brauchen eine spezielle Konstruktion: Dämmstreifen mit Abstand, dazwischen Mörtel, der die Kapillarität übernimmt. Das ist kein Standard-Einbau. Und Kalziumsilikat? Die sicherste Wahl für die meisten Altbauten. Robust, baubiologisch unbedenklich, und seit Jahren in der Praxis bewährt.

Hand, die mineralischen Putz auf eine diffusionsoffene Dämmplatte aufträgt.

Die richtige Planung - ohne Feuchteschutzberechnung kein Erfolg

Ein Fehler, der oft gemacht wird: Man nimmt eine Standard-Dämmstärke und baut sie ein. Das reicht nicht. Jedes Gebäude hat seine eigene Feuchtigkeitsbilanz. Die Planung muss nach DIN 4108-3 und DIN 13788 erfolgen. Das bedeutet: Berechnung der Wandtemperatur, der Dampfdiffusion, der Sorptionsfähigkeit des Mauerwerks. Wer das nicht macht, spielt mit Feuer - auch wenn er kapillaraktive Materialien verwendet.

Studien zeigen: 45 % aller Schäden entstehen, weil die Kapillarleitfähigkeit des Bestandsmauerwerks nicht berücksichtigt wurde. Eine alte Ziegelwand aus dem Jahr 1880 hat andere Eigenschaften als eine 1950er-Kalksteinwand. Der Bauphysiker muss das wissen. Und der Handwerker muss die Ergebnisse in die Ausführung übersetzen - mit dem richtigen Kleber, der richtigen Dicke, den richtigen Anschlüssen.

Was kostet das - und wer zahlt?

Eine kapillaraktive Innendämmung kostet zwischen 115 und 155 € pro Quadratmeter (brutto). Das ist teurer als eine konventionelle Dämmung. Aber: Sie ist die einzige, die denkmalrechtlich zulässig ist. Und sie wird gefördert. Das Bundesprogramm „Energieeffizient Sanieren“ zahlt bis zu 20 % der Kosten. Für denkmalgeschützte Gebäude gibt es zusätzlich bis zu 25.000 € von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Ab 2024 soll die Förderquote auf 25 % steigen - ein Zeichen, dass die Politik die Technik ernst nimmt.

Die Wirtschaftlichkeit ist nicht einfach zu berechnen. In einem Gründerzeit-Haus mit 100 m² Außenwandfläche spart man etwa 15-25 % an Heizkosten. Das klingt wenig - aber wenn man bedenkt, dass man keine Fassade abbricht, keine Fassadenbalkone verliert und denkmalrechtlich auf der sicheren Seite ist, wird der Preis gerechtfertigt.

Was Experten sagen - und warum Kritik nicht ignoriert werden darf

Dipl.-Ing. Ansgar Brockmann vom Arbeitskreis Bautechnik der Landesdenkmalpfleger sagt: „Die kapillaraktive Innendämmung ist die einzige bauphysikalisch sichere Lösung.“ Prof. Hartmut Schickert vom DIBt bestätigt: „Sie gewährleistet Energieeinsparung und Substanzerhalt.“

Doch es gibt auch warnende Stimmen. Dr. Thomas Künzel vom Fraunhofer-Institut für Bauphysik sagt: „In 30 % der Fälle entstehen trotz fachgerechter Planung lokale Schäden.“ Warum? Weil die Kapillarleitfähigkeit nicht ausreicht, wenn das Mauerwerk zu dicht ist, oder weil der Putz nicht diffusionsoffen ist. Oder weil die Trocknungszeit nicht eingehalten wurde. Die Technik ist nicht magisch. Sie braucht Erfahrung.

Ein Handwerker, der nur normale Dämmungen kennt, ist hier überfordert. Es braucht 40 Weiterbildungsstunden in Bauphysik, Kenntnisse über historische Baustoffe und Erfahrung mit denkmalgerechten Sanierungen. Die Deutsche Energie-Agentur (dena) bietet seit 2020 einen 3-tägigen Lehrgang an - und 147 Fachleute haben ihn 2022 besucht. Das ist zu wenig. Die Nachfrage steigt.

Querschnitt einer historischen Wand mit Feuchtetransport durch kapillaraktive Schichten.

Was Nutzer wirklich erleben - echte Erfahrungen aus der Praxis

Auf Altbauforen liest man beides. Ein Nutzer schreibt: „Nach fünf Jahren keine Schimmel, Heizkosten sanken um 15 %.“ Ein anderer: „Mit Remmers PU-Dämmung 30 % Ersparnis - aber nach drei Jahren Schimmel an den Fensterlaibungen.“ Warum? Die Anschlüsse wurden nicht richtig abgedichtet. Die Dämmung ist nicht das Problem - die Ausführung ist es.

47 Fachhandwerker bewerteten kapillaraktive Systeme mit 3,8 von 5 Sternen. Die Feuchteregulation bekam 4,5 Sterne - die Wirtschaftlichkeit nur 3,2. Das sagt alles: Es funktioniert, wenn man es richtig macht. Aber es ist kein billiger Schnell-Effekt.

Was kommt als Nächstes - und warum das die Zukunft ist

Der Markt wächst mit 8,3 % pro Jahr. Im Jahr 2023 haben kapillaraktive Systeme bereits 42 % der Innendämmungen in Denkmälern ausgemacht - 2020 waren es nur 35 %. Xella hat 2023 eine neue Generation von Multipor-Platten vorgestellt, die 15 % bessere Kapillarleitfähigkeit hat. Remmers hat die PU-Platten durch Streifen ersetzt - flexibler, besser anpassbar. Die Bundesregierung plant ab 2024 eine Förderquote von 25 %. Und Prof. Martin Krus prognostiziert: Bis 2030 wird diese Technik die dominierende Lösung sein.

Warum? Weil Außendämmungen in denkmalgeschützten Fassaden oft nicht erlaubt sind. Weil Dampfbremsen und Polystyrol zu viel Schaden anrichten. Und weil wir endlich lernen, alte Gebäude nicht wie Neubauten zu behandeln. Sie brauchen keine Hülle. Sie brauchen Respekt. Und eine Dämmung, die mit ihnen atmet.

Was Sie jetzt tun müssen - ein Praxischeck

Wenn Sie ein denkmalgeschütztes Haus sanieren wollen, fragen Sie sich:

  1. Habe ich eine feuchtetechnische Berechnung für meine Wand? (Ohne sie: Nein.
  2. Hat mein Handwerker Erfahrung mit kapillaraktiven Systemen? (Frage nach konkreten Projekten - nicht nur nach Zertifikaten.)
  3. Wird der Klebemörtel mit der Dämmplatte kompatibel sein? (Nicht jeder Kleber ist gleich.)
  4. Wird der Putz diffusionsoffen sein? (Mineralischer Putz, kein Kunststoffputz.)
  5. Wie lange dauert die Trocknungszeit? (Mindestens 3-5 Tage pro Schicht - nicht schneller drängen.)

Es ist kein Projekt für einen Wochenend-Heimwerker. Aber für den, der es richtig macht: eine Investition, die das Gebäude rettet - und für die nächste Generation erhält.

Ist eine kapillaraktive Innendämmung für alle Denkmäler geeignet?

Nein. Sie ist ideal für Mauerwerke aus Ziegel, Kalkstein oder Lehm, die eine gewisse Kapillarleitfähigkeit haben. Bei stark verfugten, zementierten Wänden oder bei Gebäuden mit massivem Feuchtigkeitseintritt (z. B. durch kapillaren Grundwasseranstieg) ist sie oft nicht ausreichend. In solchen Fällen müssen zuerst die Ursachen der Feuchtigkeit beseitigt werden - sonst wird die Dämmung überfordert.

Kann ich eine kapillaraktive Dämmung selbst einbauen?

Nein. Die Planung erfordert bauphysikalische Berechnungen nach DIN-Normen, die nur Fachleute durchführen dürfen. Die Ausführung ist komplex: Die Anschlüsse an Fenster, Türen und Decken müssen feuchtetechnisch dicht, aber diffusionsoffen sein. Ein falscher Kleber oder ein falscher Putz macht das ganze System kaputt. Das ist kein Heimwerkerprojekt - das ist Spezialhandwerk.

Wie lange hält eine kapillaraktive Innendämmung?

Mineralische Dämmstoffe wie Kalziumsilikatplatten sind dauerhaft stabil. Sie verrotten nicht, verlieren ihre Eigenschaften nicht und sind nicht anfällig für Schimmel. Die Haltbarkeit entspricht der des Gebäudes - vorausgesetzt, die Ausführung war korrekt und die Feuchtigkeit wird nicht durch andere Ursachen (z. B. undichte Dächer) neu eingetragen.

Warum ist die Dämmstärke so groß? Kann ich nicht einfach eine dünne, bessere Dämmung nehmen?

Weil kapillaraktive Materialien nicht so gut dämmen wie Polystyrol. Eine 6 cm starke Außendämmung aus Polyurethan erreicht denselben U-Wert wie 12-15 cm Kalziumsilikat. Das ist der Preis für die Diffusionsoffenheit. In Altbauten ist das oft akzeptabel - denn die Räume sind oft groß, und die Verluste an Raumhöhe sind geringer als der Verlust an historischer Substanz. Es geht nicht um maximale Energieeinsparung - sondern um nachhaltige Erhaltung.

Welche Fördermittel gibt es genau?

Das Bundesprogramm „Energieeffizient Sanieren“ der KfW fördert bis zu 20 % der Kosten. Für denkmalgeschützte Gebäude gibt es zusätzlich eine Förderung von bis zu 25.000 € von der Deutschen Stiftung Denkmalschutz. Ab 2024 soll die KfW-Förderquote auf 25 % steigen. Die Förderung ist an die Einhaltung der bauphysikalischen Standards gebunden - eine feuchtetechnische Berechnung ist Pflicht.

Kann man kapillaraktive Dämmung auch in Kirchen oder öffentlichen Gebäuden einbauen?

Ja - und das wird immer häufiger gemacht. Kirchen, Schulen und Rathäuser aus dem 19. Jahrhundert sind besonders anfällig für Feuchteschäden durch hohe Luftfeuchtigkeit und große Raumvolumina. In 28 % der dokumentierten Sanierungen handelt es sich um solche öffentliche Gebäude. Die Technik ist hier sogar noch wichtiger, weil die Schäden oft schwerwiegender sind und die Sanierungskosten höher liegen.

Was ist der größte Fehler bei der Planung?

Der größte Fehler ist, die Kapillarleitfähigkeit des Bestandsmauerwerks zu ignorieren. Viele Planer nehmen an, dass alle alten Mauern gleich sind. Sie sind es nicht. Eine Ziegelwand aus dem Jahr 1860 hat eine andere Struktur als eine Kalksteinwand aus dem Jahr 1900. Ohne Prüfung des Mauerwerks - durch Bohrkerne oder Feuchtigkeitsmessung - ist jede Planung ein Glücksspiel.

Gibt es Alternativen zur kapillaraktiven Innendämmung?

Nur sehr eingeschränkt. Eine Außendämmung ist oft denkmalrechtlich nicht erlaubt. Eine Innendämmung mit Dampfbremse ist bauphysikalisch riskant und führt fast immer zu Schimmel. Eine Außenwandisolierung mit Holzfaserplatten ist nur möglich, wenn die Fassade nicht verändert werden darf. Die kapillaraktive Innendämmung ist derzeit die einzige Lösung, die sowohl energetisch wirksam als auch denkmalgerecht ist.