Stellen Sie sich vor: Jeden Abend um 20 Uhr dröhnt Musik aus der Wohnung unter Ihnen, und der Geruch von gebratenem Fisch zieht durch den Treppenhaus. Sie haben schon mehrfach freundlich geklopft - nichts ändert sich. Was jetzt? Können Sie das von der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) unterbinden lassen? Oder müssen Sie selbst vor Gericht ziehen? Viele Eigentümer sind verwirrt, wenn es um Lärm und Gerüche geht. Die Wahrheit ist: Die WEG kann nicht einfach alles verbieten. Es gibt klare Regeln, und wer sie kennt, hat die Oberhand.
Was darf man tolerieren - und was nicht?
Nicht jeder Laut oder Geruch ist rechtlich relevant. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat das deutlich gesagt: Sie müssen geringfügige Störungen hinnehmen. Das ist Teil des Zusammenlebens in einer WEG. Ein Kind, das im Wohnzimmer spielt, ein Hund, der ab und zu bellt, oder der Duft von frisch gebackenem Brot - das gehört dazu. Aber wenn jemand jeden Tag von 22 bis 6 Uhr mit lauter Musik auftrumpft, oder ein Exhaustor im Keller so stark riecht, dass Sie in Ihrer Wohnung nicht mehr lüften können, dann ist das kein normaler Nachteil mehr. Das ist eine rechtswidrige Beeinträchtigung.Entscheidend ist: Es geht nicht um Ihre persönliche Empfindlichkeit. Wenn Sie empfindlich gegen Zwiebelgeruch sind, aber Ihr Nachbar nur einmal pro Woche Kohl kocht - kein Problem. Aber wenn jemand regelmäßig stark riechende Chemikalien im Keller lagert, oder eine Heizungsanlage so laut ist, dass Sie nicht mehr schlafen können - dann ist das messbar, nachweisbar und unzumutbar.
Die WEG kann nicht für Ihre Nachbarn einspringen
Das ist der wichtigste Punkt, den fast jeder missversteht. Die Wohnungseigentümergemeinschaft kann nicht einfach einen Beschluss fassen, der verbietet, dass jemand in seiner Wohnung laut ist oder riecht. Der BGH hat das im Januar 2020 endgültig geklärt: Ein Anspruch auf Unterlassung von Lärm oder Geruch, der von einem anderen Wohnungseigentümer oder Mieter ausgeht, bleibt immer individuell. Die WEG kann diesen Anspruch nicht für Sie übernehmen.Das bedeutet: Selbst wenn 20 von 25 Eigentümern in der Versammlung beschließen, dass „Lärm von unten nicht mehr toleriert wird“, ist dieser Beschluss rechtlich wertlos, wenn es um die Wohnung unter Ihnen geht. Die WEG hat nur die Befugnis, Störungen am Gemeinschaftseigentum zu bekämpfen - also etwa wenn jemand den Flur mit Möbeln zustellt oder die Fassade beschädigt. Aber nicht, wenn jemand in seiner eigenen Wohnung Musik aufdreht.
Ein Beispiel: Eine Eigentümerin in München hatte Probleme mit einer Wohnung, die an Medizintouristen vermietet war. Die Versammlung beschloss 2014, den Unterlassungsanspruch gemeinschaftlich zu führen. Der BGH hob diesen Beschluss auf. Der Anspruch blieb bei ihr - und nur bei ihr.
Ihre Rechte - und wie Sie sie durchsetzen
Wenn Sie betroffen sind, haben Sie zwei Wege: Erstens, die Abmahnung. Zweitens, die Klage. Beides geht nur über Sie - nicht über die WEG.Schritt 1: Dokumentieren Sie alles. Notieren Sie genau, wann, wie oft und wie stark die Störung ist. Schreiben Sie auf: „Am 3.12.2025, 22:15 Uhr, Dauer 45 Minuten, Musik mit Bass, messbar über 65 dB.“ Nehmen Sie Fotos von Gerüchen auf - etwa von offenen Abfallbehältern oder verschmutzten Lüftungsschächten. Zeugen sind wichtig: Ein Nachbar, der das Gleiche erlebt, kann eine Aussage abgeben. Ohne Dokumentation ist kein Gerichtsverfahren erfolgreich.
Schritt 2: Schreiben Sie eine Abmahnung. Der Verwalter der WEG kann das für Sie tun. Die Abmahnung muss konkret sein: „Sie verursachen ab 22 Uhr lauten Lärm durch Musik. Das verstößt gegen § 14 Nr. 1 WEG.“ Geben Sie eine Frist - zum Beispiel 14 Tage. Wenn nichts passiert, geht es weiter.
Schritt 3: Klagen Sie selbst. Sie können nach § 1004 BGB eine Unterlassungsklage einreichen. Das kostet zwischen 3.500 und 6.000 Euro, aber in mehr als der Hälfte der Fälle wird der Fall vor dem ersten Gerichtstermin beigelegt, weil der Beklagte merkt, dass Sie ernst machen. Wichtig: Der Klageantrag muss präzise formuliert sein. „Stellen Sie den Lärm komplett ein“ - das ist zu vage. Besser: „Unterlassen Sie es, zwischen 22 und 6 Uhr Musik mit einer Lautstärke von mehr als 55 dB zu spielen.“
Was hilft wirklich - und was nicht
Viele Eigentümer hoffen auf technische Lösungen. Schallschutzmatte für den Boden? Ja, das hilft bei Trittschall. Geruchsabsorber im Keller? Funktioniert bei leichten Gerüchen. Aber wenn jemand absichtlich stört - dann ist Technik kein Ersatz für Recht.Neue Lösungen gibt es aber auch: Die Muster-Wohnungsordnung, die der Haus & Grund Verband im März 2023 aktualisiert hat, enthält jetzt klare Grenzwerte für Lärm und Gerüche. 87 % der neu gegründeten WEGs nutzen diese schon. Sie können sie als Orientierung nutzen, wenn Sie mit Ihrem Verwalter sprechen.
Im Jahr 2025 soll die DIN-Norm 4109-2 kommen - sie wird erstmals messbare Grenzwerte für Geruchsemissionen in Wohngebäuden festlegen. Das wird die Rechtsprechung deutlich erleichtern. Bis dahin bleibt: Dokumentation ist König.
Wie viel kostet es - und lohnt es sich?
Ein WEG-Anwalt verlangt zwischen 220 und 280 Euro pro Stunde. Die Kosten für eine Unterlassungsklage liegen meist bei 4.500 Euro. Aber: In 50 % der Fälle wird der Streit vor Gericht beigelegt - oft schon nach der ersten Abmahnung. Das bedeutet: Sie zahlen nur die Anwaltskosten für die Abmahnung - etwa 500 bis 800 Euro - und sparen sich den ganzen Prozess.Wenn Sie die Belästigung nicht bekämpfen, verlieren Sie mehr als nur Ruhe. Der Wert Ihrer Wohnung sinkt. Wer will schon in einer Wohnung wohnen, wo man nachts nicht schlafen kann? Ein Gerichtsurteil, das Ihre Rechte bestätigt, erhöht den Wert - und schützt auch Ihre Nachbarn, die vielleicht später dieselbe Situation erleben.
Was kommt als Nächstes?
Der Gesetzgeber arbeitet an einer Novelle des WEG, die klar zwischen individuellen und gemeinschaftlichen Ansprüchen trennt - genau wie der BGH es schon tut. Der Entwurf vom Februar 2025 sieht vor, dass nur noch Ansprüche, die das Gemeinschaftseigentum betreffen, von der WEG geltend gemacht werden dürfen. Das ist eine gute Entwicklung. Es bringt Klarheit.Und trotzdem: Die Hauptlast bleibt bei Ihnen. Die WEG kann nicht Ihr Polizist sein. Sie müssen aktiv werden - mit Dokumentation, mit Abmahnung, mit Klage. Wer wartet, verliert. Wer handelt, schützt nicht nur sich - sondern auch die Ordnung in der gesamten Gemeinschaft.
Kann die WEG einen Beschluss fassen, der Lärm von Nachbarn verbietet?
Nein. Die Wohnungseigentümergemeinschaft kann keine Beschlüsse fassen, die Lärm- oder Geruchsbelästigungen durch andere Eigentümer oder Mieter verbieten. Solche Ansprüche sind individuell und können nur vom betroffenen Eigentümer selbst geltend gemacht werden. Der Bundesgerichtshof hat das 2020 endgültig geklärt. Ein entsprechender Beschluss wäre rechtlich unwirksam.
Was muss ich dokumentieren, um eine Klage zu gewinnen?
Sie brauchen konkrete, zeitlich präzise Nachweise: Datum, Uhrzeit, Dauer, Art und Intensität der Störung. Nutzen Sie ein Protokoll oder eine App, die Schallpegel misst. Fotos von Geruchsquellen, Zeugenaussagen von Nachbarn und wiederholte Meldungen an den Verwalter zählen als Beweis. Vage Aussagen wie „es ist immer laut“ reichen nicht - Gerichte brauchen messbare Fakten.
Wie lange dauert eine Unterlassungsklage?
Im Durchschnitt dauert ein Verfahren 9 bis 18 Monate. Aber in mehr als der Hälfte der Fälle wird der Streit vor dem ersten Gerichtstermin beigelegt - oft schon nach einer schriftlichen Abmahnung. Der Beklagte zieht sich zurück, wenn er merkt, dass Sie ernst machen und die Beweise haben.
Kann ich die Kosten von der WEG erstattet bekommen?
Nein. Da die Klage individuell ist und nicht im Interesse der Gemeinschaft erfolgt, kann die WEG die Kosten nicht tragen. Sie müssen die Anwaltskosten selbst bezahlen. Es gibt keine Pflicht zur Kostenübernahme, auch wenn die Störung viele betrifft - es bleibt ein Einzelfall.
Was passiert, wenn ich nichts tue?
Wenn Sie nichts tun, wird sich die Störung verfestigen. Der Täter merkt, dass er ungestört bleibt. Gleichzeitig sinkt der Wert Ihrer Wohnung - potenzielle Käufer fragen nach Lärm und Gerüchen. Langfristig wird es schwerer, die Störung zu bekämpfen, weil die Rechtsprechung nur bei anhaltenden, schwerwiegenden Fällen eingreift. Toleranz ist kein Recht - aber Untätigkeit ist eine Entscheidung, die Sie später bereuen können.
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