Stellen Sie sich vor: Sie stehen morgens auf, greifen nach Ihrem Rollator - und merken, dass Sie ihn nicht mehr aus der Ecke ziehen können, weil der Flur zu schmal ist. Die Tür zum Badezimmer ist nur 80 cm breit, die Garderobe steht genau dort, wo Sie abbiegen müssten. Plötzlich ist das Zuhause, das Ihnen Sicherheit geben sollte, eine Falle. Das ist keine Ausnahme. In Deutschland leben über 2,5 Millionen Menschen mit einer eingeschränkten Mobilität, die auf einen Rollator oder Rollstuhl angewiesen sind. Und in 65 % der bestehenden Wohnungen gibt es nicht einmal die minimale Fläche, die sie brauchen, um sich sicher zu bewegen.
Was sagt die DIN 18040 wirklich über Flurbreiten?
Die Norm DIN 18040 ist der Maßstab für barrierefreies Bauen in Deutschland. Sie wurde 2017 aktualisiert und legt fest, wie viel Platz wirklich nötig ist - nicht nur für den Rollstuhl, sondern auch für den Rollator. Viele denken, ein Rollator braucht weniger Platz als ein Rollstuhl. Das stimmt - aber nur bis zu einem Punkt. Für einen Rollator brauchen Sie mindestens eine Bewegungsfläche von 120 cm x 120 cm. Das ist kein Luxus, das ist die absolute Grundlage. Warum? Weil ein Rollator nicht nur geradeaus gefahren wird. Man muss ihn drehen, abstellen, an der Tür vorbeikommen, in der Küche anhalten. Eine schmale Flurbreite von 90 cm mag für einen Gehstock reichen, aber nicht für etwas, das 70 cm breit ist und mit einem Korb beladen ist.
Die DIN 18040 verlangt für Flure, in denen Menschen mit Rollatoren oder Rollstühlen leben, eine nutzbare Breite von mindestens 120 cm. Bei geraden Fluren bis zu 6 Metern Länge ist das ausreichend. Aber sobald es eine Kurve gibt, eine Tür oder eine Ecke, braucht es mehr. In Begegnungszonen - also dort, wo zwei Menschen aufeinandertreffen - muss der Flur 180 cm breit sein. Das klingt viel, aber wenn Sie sich vorstellen, wie ein Rollstuhlfahrer und ein Rollator-Nutzer sich an einem engen Punkt begegnen, wird klar: 120 cm reichen nicht. Es braucht Platz zum Ausweichen. Ohne diesen Platz wird der Flur zur Gefahrenzone.
Rollator vs. Rollstuhl: Welcher Platzbedarf ist wirklich nötig?
Ein Rollator ist kein Rollstuhl. Und ein Rollstuhl ist kein Rollator. Das ist der entscheidende Unterschied, den viele übersehen. Ein Rollator ist eine Bewegungshilfe, die die Beinmuskulatur aktiviert. Studien zeigen, dass Menschen, die regelmäßig einen Rollator nutzen, langsamer an Muskelkraft verlieren als Rollstuhlfahrer. Aber er braucht Platz zum Abstellen - und zwar direkt vor der Tür, in der Küche oder im Flur. Ein typischer Rollator ist 65-75 cm breit. Mit 10 cm Sicherheitsabstand zu jeder Seite brauchen Sie also mindestens 85 cm. Aber das ist nur die Grundlage. Um ihn sicher abzustellen, ohne ihn umzukippen oder an der Wand zu stoßen, brauchen Sie mindestens 120 cm x 120 cm. Das ist die Fläche, die 67 % der Nutzer in einer Umfrage des Senioren-Ratgebers (2024) als notwendig angaben.
Ein Rollstuhl braucht deutlich mehr. Ein manueller Rollstuhl benötigt einen Wendekreis von mindestens 150 cm Durchmesser. Ein Elektrorollstuhl? Dann brauchen Sie 190 cm Breite und 150 cm Tiefe - und eine Steckdose in 85 cm Höhe, um ihn zu laden. Das ist kein kleiner Umbau. Das ist eine Planung, die von Anfang an mitgedacht werden muss. Und die Tür? Sie muss mindestens 90 cm breit sein. Die meisten Standardtüren sind nur 80 cm. Das bedeutet: Selbst wenn der Flur breit genug ist, bleibt der Rollstuhl an der Tür hängen. Und das ist kein Problem, das man mit Kraft löst. Das ist ein Problem, das mit Planung gelöst werden muss.
Warum 10 cm mehr Flurbreite die Selbstständigkeit verändern
Prof. Dr. Ulrich Königs vom DIN sagt es klar: "Schon 10 cm mehr Flurbreite können die Selbstständigkeit von Senioren um bis zu 30 % erhöhen." Das klingt übertrieben? Schauen Sie sich die Zahlen an. In 87 % der deutschen Wohnungen wurde vor 1990 gebaut - damals gab es keine barrierefreien Standards. Die Flure sind 80-100 cm breit. Ein Rollator passt da gerade so hindurch - aber nur, wenn nichts im Weg ist. Ein Schuh, ein Teppich, eine Blumenvase - schon ist der Weg blockiert. Und wenn Sie stürzen? Dann brauchen Sie Hilfe. Und die ist nicht immer da.
Die Deutsche Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG) warnt: Zu enge Flure erhöhen die Unfallgefahr um das 2,3-fache. Warum? Weil man nicht ausweichen kann. Kein Platz zum Anhalten. Kein Platz zum Drehen. Kein Platz zum Atmen. In einem Forum für Senioren berichtete ein 78-Jähriger aus Berlin: "Mein Flur ist nur 95 cm breit - mit Rollator komme ich nicht mehr an der Garderobe vorbei. Seitdem muss meine Tochter mich zum Arzt fahren." Das ist kein Einzelfall. Das ist die Realität.
Und dann gibt es die Gegenbeispiele. Eine 82-Jährige aus Stuttgart schreibt: "Seit wir den Flur auf 130 cm verbreitert haben, kann ich meinen Rollator problemlos abstellen und selbstständig zur Toilette gehen." Das ist kein Wunder. Das ist ein Ergebnis. Eine breitere Flur ist kein Luxus. Sie ist die Voraussetzung für Unabhängigkeit.
Wie man einen engen Flur sanieren kann - ohne das ganze Haus umzubauen
Es gibt keine magische Lösung. Aber es gibt praktische Wege. Sie müssen nicht das ganze Haus umbauen. Aber Sie müssen genau messen. Nehmen Sie Ihr Maßband und messen Sie den Flur. Dann messen Sie Ihren Rollator. Breite, Tiefe, Höhe. Rechnen Sie mindestens 10 cm mehr dazu - für zukünftige Veränderungen. Vielleicht brauchen Sie eines Tages einen Elektrorollstuhl. Oder ein anderes Hilfsmittel. Planen Sie jetzt für morgen.
Die drei wichtigsten Schritte:
- Messen Sie genau. Nehmen Sie die Breite des Flurs an der schmalsten Stelle. Prüfen Sie, ob die Tür mindestens 90 cm breit ist. Prüfen Sie, ob es Ecken, Schränke oder Treppen gibt, die den Weg blockieren.
- Entfernen Sie Hindernisse. Ein Schrank, der am Ende des Flurs steht? Verschieben Sie ihn. Ein Teppich, der aufgerollt ist? Entfernen Sie ihn. Eine Garderobe, die in den Gang ragt? Bauen Sie sie um - oder ersetzen Sie sie durch eine Wandhalterung.
- Erweitern Sie gezielt. Wenn der Flur nur 100 cm breit ist, kann ein Wanddurchbruch helfen. Entfernen Sie eine Wand zwischen Flur und angrenzendem Raum - vielleicht ein kleines Abstellzimmer oder eine Nische. Das kostet zwischen 1.200 und 3.500 Euro, je nach Aufwand. Aber es ist eine Investition in Ihre Sicherheit.
Architektin Sabine Weber sagt: "Planen Sie immer etwas Puffer ein. Messen Sie Ihren Rollator genau und rechnen Sie 10 cm mehr ein." Das ist der wichtigste Tipp, den Sie bekommen können. Was heute passt, passt morgen vielleicht nicht mehr.
Alternativen: Was tun, wenn ein Umbau nicht möglich ist?
Nicht jeder kann seinen Flur verbreitern. Manche wohnen in Mietwohnungen. Manche haben ein historisches Haus. Was dann?
Eine Lösung sind externe Rollator-Garagen. Das sind kleine, wetterfeste Boxen, die an der Hauswand oder im Garten installiert werden. Sie sind ab 299 Euro erhältlich. Der Vorteil: Der Rollator bleibt draußen. Sie brauchen keinen Platz im Flur. Sie müssen ihn nicht tragen. Sie können ihn einfach hineinschieben - und holen ihn sich ab, wenn Sie rausgehen. Ein Nutzer auf Kiwabo.com schreibt: "Eine externe Garage hat mir meine Selbstständigkeit zurückgegeben. Ich muss nicht mehr auf Hilfe angewiesen sein, um den Rollator nach unten zu tragen."
Ein weiterer Weg: Die Deutsche Rentenversicherung fördert seit Januar 2025 bis zu 50 % der Kosten für die Verbesserung von Stellflächen - bis zu 3.000 Euro pro Maßnahme. Der KfW-Zuschuss "Altersgerecht umbauen" bietet bis zu 5.000 Euro. Das ist nicht viel, aber es reicht, um eine Wand zu versetzen oder eine Tür zu vergrößern.
Was kommt 2025 und 2026? Die Zukunft des barrierefreien Wohnens
Die Gesetze ändern sich. Am 15. Juni 2024 verabschiedete der Bundestag eine Änderung des Wohnungsbaugesetzes: Ab 2026 müssen in allen Neubauten mindestens 10 % der Wohnungen barrierefrei sein - mit Flurbreiten von mindestens 140 cm. Das ist ein großer Schritt. Aber es geht noch weiter. Die DIN arbeitet an einer neuen Version der Norm 18040, die voraussichtlich im zweiten Quartal 2025 erscheint. In ihr wird die Mindestbreite für Flure mit Rollator-Nutzung von 120 cm auf 130 cm angehoben. Das ist keine willkürliche Zahl. Das ist die Antwort auf die Realität: 120 cm ist zu wenig. 130 cm ist das Minimum, um wirklich sicher zu sein.
Und die Nachfrage wächst. Bis 2035 wird jeder dritte Deutsche über 60 Jahre alt sein. Die Nachfrage nach barrierefreiem Wohnraum wird sich bis 2040 verdoppeln. Wer jetzt nicht handelt, wird später zahlen - mit Sicherheit, mit Unabhängigkeit, mit Würde.
Was Sie jetzt tun können
Wenn Sie oder jemand in Ihrer Familie einen Rollator oder Rollstuhl nutzen:
- Measuren Sie den Flur - nicht nur die Breite, sondern auch die Türöffnung.
- Prüfen Sie, ob es eine Stellfläche von 120x120 cm gibt - oder ob Sie sie schaffen können.
- Prüfen Sie, ob die Tür 90 cm breit ist - oder ob sie erweitert werden muss.
- Informieren Sie sich über Fördermöglichkeiten: KfW, Deutsche Rentenversicherung.
- Wenn ein Umbau nicht möglich ist: Erwägen Sie eine externe Rollator-Garage.
- Planen Sie nicht nur für heute - planen Sie für morgen. Was, wenn Sie nächstes Jahr einen Elektrorollstuhl brauchen?
Ein breiterer Flur ist kein Luxus. Er ist die Grundlage für ein Leben in Würde. Er ist der Unterschied zwischen Selbstständigkeit und Abhängigkeit. Zwischen Sicherheit und Sturz. Zwischen Zuhause und Gefängnis.
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